Ungerechte Steuern
Wieso die Reichen immer reicher werden
Der Sturz des einstigen Vorzeigemanagers Zumwinkel hat ein Ventil geöffnet. „Ihr da oben, wir da unten“, dieser Buchtitel aus den 70ern beschreibt exakt die heutige Gefühlslage. Die Schere gehe immer weiter auseinander. Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Gesagt hat uns das Robert Zollitsch, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Und das ist wirklich kein Ort für linke Träumereien. Monika Anthes und Ulrich Neumann auf den Spuren einer tief empfundenen Gerechtigkeitslücke.
Bericht:
Jahrzehnte lang hat er Steuersünder gejagt, Frank Wehrheim. In den 90er Jahren war der Fahnder Mitglied einer Sondereinheit. Damals im Visier: die Frankfurter Großbanken. Er kennt die Tricks der Geldelite. Jetzt spricht Wehrheim erstmals vor einer Kamera.
O-Ton, Frank Wehrheim, ehem. Steuerfahnder:
»Solange ich bei der Steuerfahndung gearbeitet habe, und ich habe 1975 angefangen, war Liechtenstein ein Begriff, gab es Anstalten, gab es Stiftungen, und sind diese Dinge über dieses Land, neben anderen Steueroasen, über dieses Land Steuern hinterzogen worden.«
Steueroase Liechtenstein. Nur etwas für die Reichen. Wer Kapital hat, kennt die Kanäle am Fiskus vorbei. Dem Fußvolk bleiben diese Wege verschlossen. Nicht in Liechtenstein, sondern hier, im Servicecenter des Finanzamtes Mainz, treffen wir die normalen Steuerbürger, wie zum Beispiel diese 80-jährige Rentnerin.
O-Ton:
»So, die besondere Lohnsteuerbescheinigung, haben Sie die dabei?«
O-Ton:
»Ne.«
O-Ton:
»Sie haben doch hier Bruttoarbeitsohn.«
O-Ton:
»Ich habe keinen Arbeitslohn. Was ist das jetzt?«
O-Ton:
»Bruttoarbeitsohn. Davon wurde Lohsteuer einbehalten und die Kirchensteuer.«
O-Ton:
»Ja , was ich an Rente bekomme.«
Für sie, wie viele andere auch, ist selbst eine simple Steuererklärung schon ein unüberwindliches Hindernis. An Steuerspartricks vermag sie erst gar nicht zu denken.
O-Ton, Frank Wehrheim, ehem. Steuerfahnder:
»Die Möglichkeiten für den Arbeitnehmer sind gering. Der kann Kilometer angeben und mehr. Oder versuchen ein Fachbuch, was keins ist, abzusetzen. In dem Bereich der Firmen sind die Möglichkeiten vielfältiger. Und mit je mehr Geld Sie da unterwegs sind, umso größer sind natürlich die Möglichkeiten, Steuern, in Anführungsstrichen, zu „vermeiden“. Und auch Steuern zu hinterziehen.«
Also, wir lernen: Je mehr Geld und gute Berater ich habe, desto mehr Steuern kann ich sparen. Das ist ein Grundproblem unseres Steuersystems, meint der eher konservative ehemalige Verfassungsrichter und Steuerrechtler Professor Kirchhof.
O-Ton, Prof. Paul Kirchhof, Steuerrechtler, Universität Heidelberg:
»Die Menschen empfinden nicht mehr die Sicherheit, dass Gleichheit herrscht, dass jeder das Einkommen, das er erzielt hat, voll, unvermindert besteuern muss. Und dieses Gefühl ist berechtigt. Und wenn ich nicht mehr das Gespür habe für die Gleichheit im Steuerrecht, dann empfinde ich die Steuer als Unrecht.«
Steuer – ein Unrecht? Steuerungerechtigkeit verantwortlich für Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft? Das beobachtet auch Robert Zollitsch, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
O-Ton, Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz:
»Das Gefühl ist da, dass die Schere immer weiter auseinander geht, dass die Armut zunimmt, und dass die Zahl derer, die reich sind, nicht so groß ist, aber die werden immer reicher. Und je weiter die Schere auseinander geht, desto gefährlicher ist es für unseren Staat und unsere Gesellschaft.«
Die Reichen im Vorteil, die Masse benachteiligt? Eines steht jedenfalls fest: Die Empörung in der Bevölkerung wächst. Dramatisch.
Für den eher linken gewerkschaftsnahen Professor Jarass nicht nur ein diffuses Bauchgefühl, sondern Ausdruck einer realen Entwicklung. Für REPORT MAINZ hat der Steuerexperte die offiziellen Zahlen zur Einkommensentwicklung in den letzten fünf Jahren ausgewertet. Die Erträge von Unternehmen und aus Privatvermögen sind von 2003 bis 2008 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Dagegen sind die Löhne im gleichen Zeitraum gesunken.
O-Ton, Prof. Lorenz Jarass, Steuerexperte, FH Wiesbaden:
»Es gibt ein tief sitzendes und sehr berechtigtes Gefühl bei der breiten Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass sie ausgeplündert werden vom Staat. Lohnerhöhungen werden mit zwei Drittel belastet, und die großen Einkommensbezieher bezahlen überhaupt keine Steuer mehr.«
Auch der Bundesrechnungshof, die oberste Prüfbehörde, bemängelt gravierende Ungerechtigkeiten im Steuersystem. In mehreren Stellungnahmen aus dem Jahr 2006 hält er fest:
Zitat:
»Großteil der Steuererklärungen nicht mehr ordnungsgemäß geprüft.
Steuer unvollständig und ungleich festgesetzt. Steuergerechtigkeit nicht mehr gewährleistet.«
Ein vernichtendes Urteil mit Folgen.
O-Ton, Prof. Paul Kirchhof, Steuerrechtler, Universität Heidelberg:
»Das Kernproblem ist, dass dann der Bürger nicht mehr die Sicherheit hat, dass Gleichheit herrscht, sondern er meint, ich kann selber die Höhe der Steuerlast gestalten. Das ist eigentlich der schlimmste Autoritätsverlust für das Recht und insbesondere hier für das Steuerrecht.«
Auch international steht das deutsche Steuersystem am Pranger. Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat Steuersysteme weltweit verglichen. Wie effektiv und transparent sind sie? 102 Staaten wurden untersucht. Schlusslicht: Deutschland. Unser Steuersystem weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Hinter Staaten wie Haiti und Dominikanische Republik.
Ineffizient, undurchsichtig und ungerecht. Genauso empfinden Menschen auf der Straße unser Steuersystem. Das ist Sprengstoff für unsere Gesellschaft.
Abmoderation Fritz Frey:
Wenn sich der Pulverdampf um die Affäre Zumwinkel und Co. verzogen hat, dann, so die Hoffnung, könnte sie noch mal auf die Tagesordnung kommen, die Forderung nach einem einfachen und doch gerechten Steuersystem. Hat die Große Koalition die Kraft dafür? Schon unser nächstes Thema lässt daran zweifeln.