von Christian Ramthun, Heike Schwerdtfeger und Silke Wettach, Wirtschaftswoche

 

 

Euro-Pleitekandidat Zypern muss sich heftige Kritik aufgrund seines laschen Steuersystems gefallen lassen. Doch der Inselstaat ist keine Ausnahme. Auch mitten in Europa wird versucht, den Fiskus kurzzuhalten.

Bermuda und andere Karibikinseln fordern keine Ertragsteuern, haben aber strenge Geldwäschevorschriften. Paradiesisch für Unternehmen. Drittgrößter Versicherungsstandort der Welt. Google hortet hier seine außerhalb der USA erwirtschafteten Gewinne; rund 100 Milliarden Dollar. Nur für Steuerflüchtlinge ab zweistelligem Millionenbereich interessant, die hier eine Firma errichten.

 

Die Internet-Adresse ist britisch, das Geschäft ebenso. Amazon.co.uk erwirtschaftete im vergangenen Jahr vier Milliarden Euro in Großbritannien. Doch für den dortigen Fiskus ist das weltgrößte Online-Versandhaus ein Nichts. Denn Amazon hat seinen britischen Ableger als reinen Auslieferungsbetrieb deklariert, die Gewinne fließen ins Großherzogtum Luxemburg. „Indem wir unsere Europa-Zentrale in Luxemburg ansiedeln, erwarten wir im Laufe der Zeit einen attraktiveren Steuersatz“, erklärte der Konzern im Jahr 2006 unumwunden. Und so kam es auch.

 

Mitten in Europa gedeihen Steuerparadiese, die durchaus mit anrüchigen karibischen Eilanden konkurrieren können. Auf dem weltweiten Finanzgeheimnis-Index des Tax Justice Network landet Luxemburg auf Platz drei; davor liegen nur noch die Schweiz und die Cayman Islands. Die Nichtregierungsorganisation schätzt, dass 13 Prozent des Geldes, das weltweit in Steueroasen versteckt ist, in Luxemburg lagert. Selbst die Zyprioten, die ihre Insel offen als Steueroase anpreisen, bezeichnen das Großherzogtum zwischen Deutschland und Frankreich als einen ihrer härtesten Konkurrenten.

 

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung startet die Initiative Harmful Tax Competition. 41 Länder werden identifiziert, deren Steuergesetzgebung offenbar fairem internationalem Wettbewerb widerspricht. Die Schweiz, Österreich, Belgien und Luxemburg protestieren, weil sie ihr Bankgeheimnis gefährdet sehen.

 

 

Steuerliche Lockvogelangebote

 

 

Nicht nur Luxemburg und Zypern, eine ganze Reihe von EU-Staaten buhlt mit steuerlichen Lockvogelangeboten um Kundschaft. Die Zwergstaaten Malta, Andorra und Monaco sind genauso dabei wie Irland mit einem attraktiven Steuersatz von 12,5 Prozent für Unternehmen; die Niederlande machen sich für Holdings interessant, Belgien wiederum lockt mit der Möglichkeit, das Eigenkapital mit einem fiktiven Zinssatz zu belasten, um so die Steuerlast zu senken.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reißt inzwischen die Hutschnur. Zusammen mit dem britischen Schatzminister George Osborne startete Schäuble beim jüngsten G20-Finanzministertreffen eine Initiative gegen die „Aushöhlung“ des Steuersystems. Selbst die freisinnigen Briten, die bisher viel von Steuerwettbewerb gehalten haben und derzeit ihren Unternehmensteuersatz von 26 auf 22 Prozent schrittweise senken, sehen ihre Staatseinnahmen durch noch niedrigere Steuersätze anderswo in der EU gefährdet. Auf rund eine Billion Euro jährlich schätzt EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta die Ausfälle, die den 27 EU-Staaten durch Steuerhinterziehung und aggressive Steuergestaltung entstehen.

 

 

Das Notwendige tun

 

 

Das Thema gewinnt angesichts der Staatsschuldenkrise an Fahrt. „Unfairer Steuerwettbewerb ist unvereinbar mit Haushaltskonsolidierung“, sagt Schäubles Parlamentarischer Staatssekretär Hartmut Koschyk (CSU) und ergänzt: „Jeder, der Führungsverantwortung in Europa hat, muss jetzt das Notwendige im eigenen Land tun.“ Koschyk spricht den Namen nicht aus, aber er meint vor allem Jean-Claude Juncker. Der Chef der Euro-Gruppe und luxemburgische Regierungschef soll endlich seine Blockade gegen stärkere Steuerkontrollen und gewisse Mindeststandards aufgeben.

 

Juncker geht Berlin und Brüssel mit seiner Bigotterie allmählich auf die Nerven. Auf der einen Seite verlangt er großzügig Gemeinschaftshilfen zugunsten der Krisenländer – bis hin zu Euro-Bonds. Auf der anderen Seite weigert er sich stoisch, seine Luxemburger Steueroasenpolitik aufzugeben.

 

 

Zerstückeltes Europa

 

 

Auch EU-Kommissar Šemeta ist sauer. „Jede Verbesserung der Steuereinnahmen in den Krisenländern würde deren wirtschaftliche Lage entspannen“, sagt der Litauer und ergänzt an die Adresse des Luxemburgers: „Deshalb denke ich, dass der Vorsitzende der Euro-Gruppe, zusammen mit allen Finanzministern, helfen sollte, unsere Politik für mehr Steuerehrlichkeit und -gerechtigkeit zu fördern“ (siehe Interview Seite 32).

Doch in der Steuerpolitik zeigt sich, wie sehr Europa noch zerstückelt und zerstritten ist. Während jeder Traktorensitz von Brüssel genau genormt wird, gibt es in der zentralen Frage von Steuersätzen und -bemessungsgrundlagen keinerlei Harmonisierung. Jedes der 27 Mitgliedsländer kann sich unbehelligt sein eigenes Steuersüppchen kochen. Jede auch noch so kleine Vereinheitlichung bedarf hingegen der Zustimmung aller Staaten.

 

 

Arm und Reich

 

 

Laut Statistiken der United Nations Children’s Fund (UNICEF) besitzen 20 Prozent der weltweiten Bevölkerung mehr als 80 Prozent des weltweiten Einkommens. Und: Weniger als 100.000 Menschen besitzen zusammen 9,8 Billionen Dollar – das sind rund zwei Drittel des BIP der Europäischen Union. Laut den Autoren der Studie „Inequality: You Don’t Know the Half of It“, schaffen diese Top 20 so viel Vermögen auf die Seite, dass die tatsächliche Kluft zwischen Arm und Reich wahrscheinlich noch deutlich höher ist.

 

 

Rückerstattungen an Aktionäre

 

 

Fast wie eine verzweifelte Ersatzhandlung wirkt es, dass sich Deutschland und Europa im Kampf gegen Steuerhinterzieher bislang auf die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Schweiz und Liechtenstein fokussieren. Kritik an Zypern, das gegenwärtig den EU-Ratsvorsitz innehat, wird nur hinter vorgehaltener Hand geübt. Fast peinlich war es der Bundesregierung, als vor einigen Tagen ein Dossier des Bundesnachrichtendienstes in die Öffentlichkeit gelangte, demzufolge die Insel im östlichen Mittelmeer vor allem Geld von russischen Oligarchen und zwielichtigen Levantinern anzieht.

Weiter westlich im Mittelmeer bleibt Malta mit seinen Tricks weitgehend unbehelligt. Mit einem offiziellen Steuersatz in Höhe von 35 Prozent ist Malta auf den ersten Blick gar kein günstiger Standort für Unternehmen. Doch dank Rückerstattungen an die Aktionäre bleiben unterm Strich nur fünf Prozent Steuerlast. Die EU-Kommission hat offenbar nichts gegen das exotische System einzuwenden.

 

 

Peinlich berührt

 

 

Auf der Insel, die kleiner als Bremen ist, unterhalten deutsche Unternehmen wie BASF, BMW, Fraport, Puma und die Deutsche Bank Tochtergesellschaften. Allerdings scheinen sie davon selbst peinlich berührt zu sein. Auf ihren Firmen-Web- Sites lassen die Konzerne ihre maltesischen Töchter gern außen vor. Beim Flughafenbetreiber Fraport hieß es etwa bis zur vorigen Woche: „Hier finden Sie alle unsere Töchter & Beteiligungen und deren Leistungsspektrum im Überblick“; doch die Fraport Malta Ltd. suchte man vergebens.

Milde geht die EU auch mit Irland um. Die Grüne Insel sticht andere Länder mit ihrem niedrigen Steuersatz von 12,5 Prozent aus. Zahlreiche Chemiekonzerne haben deshalb dort Produktions- und Forschungsstätten gegründet. Konzerne wie Apple, Google, Microsoft oder Oracle machen es sich einfacher und richteten lediglich kleine Dependancen ein, die dort ihre Lizenzen verwalten. „Mit hohen Lizenzgebühren können die Konzerne ihre milliardenschweren Gewinne im restlichen Europa abfischen“, erklärt der Wiesbadener Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass.

 

 

Personal soll aufgestockt werden

 

 

Zwar versucht Deutschland solche Praktiken zu unterbinden, indem das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Verrechnungspreise genau kontrolliert. Dafür soll das Personal bei der Bonner Behörde auch weiter aufgestockt werden, kündigte Schäubles Steuerabteilungsleiter Michael Sell an. Aber das ist nur Flickwerk. Wirksamer wäre es gewesen, die Euro-Staaten hätten vor zwei Jahren die Rettung Irlands (bisher ausgezahlt: 52 Milliarden Euro) mit der Bedingung verknüpft, den nationalen Steuersatz anzuheben. Aber dazu reichten offenkundig Macht und Mut der Retter nicht aus.

 

So bleibt es dabei, dass „Irland wie Malta ein beliebter Standort für unternehmerische Gestaltungen ist“, sagt Oliver Schultze, Steuerberater in Pinneberg und auf Kapitalanlagenbesteuerung spezialisiert. „Der Vorteil im EU-Raum ist, dass es zwischen EU-Ländern die Doppelbesteuerungsabkommen gibt. Diese Verträge verhindern, dass zwei Staaten auf die Gewinne zugreifen.“ Zudem seien EU-Länder nicht so verrucht wie Übersee-Steuerparadiese – beispielsweise die British Virgin Islands.

Das gilt insbesondere für Luxemburg. Ausgestattet mit der gleichen Vertraulichkeit wie die Schweiz, mit unschlagbaren Steuersätzen (beispielsweise 0,01 Prozent für institutionelle Investmentfonds) und einer laxen Bankenaufsicht, die weit hinter der deutschen BaFin zurückbleibt, hat sich das Großherzogtum zum Top-Finanzstandort gemausert (siehe Kurztextgalerie). Finanzdienstleistungen machen fast 40 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2011 bei 68.400 Euro und damit mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (30.300 Euro).

 

 

Piratennest

 

 

Trotzdem bezeichnet niemand das Land von Euro-Gruppen-Chef Juncker als Piratennest. Vielmehr kann es sich als die bessere Schweiz präsentieren. Und anders als die externen Eidgenossen kann das EU-Mini-Mitglied sogar alle steuerpolitischen Vorstöße aus Brüssel vereiteln, die seine Geschäfte zu stören drohen. Auch einem automatischen Informationsaustausch nach OECD-Standard verweigert sich Luxemburg. „Das Bankengeheimnis ist abgeschafft – Es lebe das Bankengeheimnis“, überschrieb jüngst der Leiter der Steuerabteilung der Luxemburger Bankenvereinigung ABBL ein Plädoyer für den Datenschutz in seiner Branche.

Von der fiskalischen Zerrissenheit der Unionsländer profitieren neben reichen Bürgern vor allem multinationale Unternehmen. Solche, „die es sich leisten können, mit viel Aufwand die gesetzlichen Besonderheiten in den einzelnen Ländern auszuschöpfen“, sagt Sven Oberle vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte. „Leidtragende sind vor allem Mittelständler, die ihre Strukturen nicht nach steuerlichen, sondern nach ökonomischen Kriterien ausrichten.“ Gerade Mittelständler trügen die Kosten, so Oberle, wenn der Fiskus mit Zinsschranken oder scharfen Verrechnungspreisvorschriften reagiert.

 

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