15. April 2008, 06:22 Uhr

GLOS GEGEN GABRIEL

Koalitionskampf ums Erdkabel

Von Christian Schwägerl und Martina Scheffler

Neuer Ärger in der Energiepolitik: Wirtschaftsminister Glos will den Ausbau von Stromleitungen forcieren – weil sonst die ehrgeizigen Ökoziele der Regierung nicht zu erreichen seien. Doch Umweltminister Gabriel fürchtet Anwohnerproteste und verlangt massenweise Erdkabel.

Berlin – Das Problem besteht schon lange, und nun muss es immer dringender gelöst werden: Um Strom aus Windanlagen vom Norden Deutschlands in die Verbrauchszentren im Süden zu transportieren, sind neue Stromleitungen der XXL-Klasse nötig. Doch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) streiten darüber, ob die Leitungen schnell gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgeboxt oder aber primär unter der Erde verlegt werden sollen. Gabriel gefährdet Glos zufolge die Erneuerung der deutschen Energieversorgung.

Strommast: Ausbau des Netzes beschleunigen

Die beiden Minister, die sich in jüngster Zeit mit harten Bandagen über Atomkraft und Klimaschutz gestritten haben, sind sich ausnahmsweise einmal einig: „Scheitert der rechtzeitige und bedarfsgerechte Netzausbau, werden die Klimaschutzziele der Bundesregierung und die Ausbauziele erneuerbarer Energien nicht erreicht. Darüber hinaus sind sichere und leistungsfähige Netze wichtige Elemente der Infrastruktur des Landes“, schreibt das Bundesumweltministerium in einer Stellungnahme zu einem Gesetz, mit dem Wirtschaftsminister Michael Glos den Ausbau des Höchstspannungsnetzes deutlich beschleunigen will.

850 Kilometer neuer Leitungen vom Norden und Osten in den Süden sind laut einer Bedarfsanalyse der Deutschen Energie-Agentur (Dena) dringend nötig, damit das Stromnetz stabil bleibt und die Versorgung gesichert ist. Mit dem Gesetz will Glos dafür sorgen, dass die Leitungen schnellstmöglich errichtet werden. Der CSU-Politiker führt zur Begründung nicht nur den Windstrom an, der von den Küsten in den Süden fließen muss, um dort wegfallende Atomkraftkapazitäten auszugleichen.

Das überalterte deutsche Stromnetz müsse auch für einen zunehmenden Stromhandel innerhalb von Europa ertüchtigt und auf viele neue Kraftwerksstandorte vorbereitet werden. Mit einem Bedarfsplan, den der Bund aufstellt, sollen langwierige Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Der Bedarfsplan soll Bezirken und Kommunen die Möglichkeit nehmen, die Notwendigkeit der Projekte durch eigene Prüfungen zu hinterfragen. Zudem will Glos Klagemöglichkeiten von Gegnern auf eine Instanz verkürzen.

Vielerorts gibt es derzeit Widerstände gegen neue Stromleitungen (mehr dazu im aktuellen SPIEGEL). So haben sich in Thüringen Bürgerinitiativen gegründet, um eine 380-Kilovolt-Leitung zu verhindern, die der Energiekonzern Vattenfall nach Bayern bauen will. 4000 Aktivisten engagieren sich seit anderthalb Jahren gegen die „Thüringer Strombrücke“. Sie befürchten gesundheitliche Gefahren, eine Verschandelung der Natur und dadurch Einbußen im Tourismus und beim Verkauf von Grundstücken. Ebenfalls bekämpft wird eine neue Höchstspannungsleitung, die durch Nordhessen führen soll.

Bis vor kurzem unterstützte auch Umweltminister Gabriel den Regierungskurs, 850 Kilometer Freileitungen zu errichten und dies durch ein neues Gesetz zu beschleunigen. Doch zur Überraschung von Glos hat der SPD-Poilitiker den bisherigen Konsens nun aufgekündigt. „Ich halte es nicht für realistisch, dass wir im bisher vorgesehenen Umfang 850 km Freileitungen neu bauen“, schreibt Gabriel in einem Thesenpapier, das dem SPIEGEL vorliegt.

Wo es im Netz über größere Strecken Engpässe gebe, sollten Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ), die eine hohe Übertragungskapazität hätten, gebaut werden. Die Gleichstromleitungen würden als Erdkabel verlegt. Dies wiederum hält Glos für zu teuer und fürchtet, dass das deutsche Stromnetz kollabieren könnte. Unterstützung bekommt Glos von Stephan Kohler, dem Chef der Deutschen Energie-Agentur: „Wenn Gabriel an diesem Kurs festhält, kann er den Ausbau der erneuerbaren Energien schlichtweg vergessen“, sagt Kohler.

Gabriels Ministerium führt gegen den bisherigen Ausbauplan heikle Argumente an: Verschiedene der bisherigen Annahmen seien, „etwa aufgrund der Verzögerung des Ausbaus von Wind-Offshore-Anlagen oder dem Ausmaß der Planung konventioneller Kraftwerke“, aktuell „nicht mehr gültig“. Damit bezieht sich das Ministerium auf zahlreiche Kraftwerksprojekte, die derzeit auf Eis gelegt oder ganz abgeblasen werden. Der Umweltminister räumt also ein, dass die Bundesregierung bei ihren Zielen für den Umbau der deutschen Energieversorgung deutlich hinterherhinkt. Nach Berechnungen des Wirtschaftsministeriums entfallen allein wegen der schleppenden Entwicklung von Windparks auf dem Meer schon jetzt mindestens 2,5 Prozentpunkte Ökostrom, die eingeplant waren, um 2020 einen Anteil von dreißig Prozent zu erreichen.

Als Grund für seinen neuen Kurs führt Gabriel aber hauptsächlich den Protest in der Bevölkerung an. Der E.on-Konzern habe es ihm schon schriftlich gegeben, dass wegen zu erwartender Klagen der geplante Netzausbau bis 2015 nicht möglich sei. „Wir können nicht den Rechtsstaat abschaffen“, sagt Gabriel zum Plan von Glos, die Rechtsmittel zu beschneiden.

Stattdessen will der Umweltminister durch einen weitgehenden Verzicht auf preiswerte neue Freileitungen die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen. So solle zunächst mit modernen Technologien das bestehende Stromnetz optimiert werden. Damit könne deutlich mehr Strom transportiert werden. Die Energieversorgungsunternehmen sollten „verpflichtet werden, diese Potentiale zu nutzen und die entsprechenden Investitionen zu tätigen“, schreibt Gabriel. Wenn diese Optimierungspotentiale genutzt würden, würden die Betroffenen den notwendigen Netzausbau auch leichter akzeptieren. Wo es im Netz über größere Strecken Engpässe gebe, sollten Gleichstrom-Übertragungsleitungen, die eine hohe Übertragungskapazität haben, gebaut werden. Nur „ergänzend“ solle der Ausbau von Freileitungen erfolgen, in besonders sensiblen Gebieten freilich als Erdkabel. Deren Preis liegt vier- bis fünfmal über dem von Freileitungen.