ARD plusminus

Autor: Michel Houben

 

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Internationale Konzerne verflechten ihre Geschäfte so geschickt, dass möglichst wenig Steuern anfallen. Dazu gehören auch deutsche Konzerne mit Staatsbeteiligung.

 

Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden waren noch nie so hoch wie heute. Die Summe aller Steuereinnahmen stieg von 484 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 568 Milliarden im Jahr 2011. Doch diese Summe stammt zum größten Teil von Lohn-und Einkommensbeziehern sowie aus Verbrauchssteuern, etwa der Umsatzsteuer. Der Anteil von Gewerbe- und Körperschaftssteuern sank im gleichen Zeitraum.

 

Obwohl die Wirtschaft seit Jahren kräftig wächst, zahlen Unternehmen, insbesondere Konzerne, immer weniger Steuern. Die von ihnen zu zahlende Körperschaftssteuer trägt immer weniger zur Finanzierung des Staates bei. Im Jahr 2006 erbrachte sie noch 22,9 Milliarden Euro. Obwohl sich die Gewinne von den Auswirkungen der Finanzkrise längst erholt haben, zahlten Konzerne im Jahr 2011 nicht einmal mehr 16 Milliarden Euro.

 

Was Internetkonzerne und Rockbands gemeinsam haben

 

U2 ist seit dreißig Jahren eine der erfolgreichsten Rockbands der Welt. Die Band und ihr als wohltätig bekannter Leadsänger Bono stammen aus Irland. Doch der Irische Staat hat wenig vom wirtschaftlichen Erfolg der Band. U2 hat die Rechte an ihren Liedern vor Jahren schon an eine niederländische Firma abgetreten, die sie eigens zu diesem Zweck gegründet hat. Der Grund: In den Niederlanden gelten besonders niedrige Steuersätze für Einnahmen, die aus Patenten und Lizenzen entstehen.

Das Nutzen auch Internetkonzerne wie etwa Google. Der Konzern verkauft für wenige Cent je Mausklick Werbung. Die Einnahmen summieren sich allein im deutschen Teil des Internets auf Milliardenbeträge. Der deutsche Staat geht aber weitgehend leer aus, denn die Werbetreibenden erhalten von Google Rechnungen aus Irland. Dort gelten generell niedrige Steuersätze, doch für Google scheinbar noch nicht niedrig genug. Ein Großteil der Erlöse lässt Google als Lizenzgebühr für Patente an eine niederländische Tochter fließen. Die dank niederländischem Steuerrecht fast unversteuerten Gewinne werden schließlich bei einer weiteren Google-Tochter im Steuerparadies Bermudas gesammelt.

 

Der Trick heißt unter Fachleuten: „Double Irish“ kombiniert mit einem „Dutch Sandwich“. Professor Lorenz Jarass von der Hochschule RheinMain, Autor mehrerer Fachbücher zur Steuerstrategie von Konzernen, erklärt, dass es dabei nicht nur um typische Steueroasen geht, sondern um die clevere Kombination internationaler Verschachtelung: „Die Niederlande sind kein Niedrigsteuerland. Ein normaler Niederländer zahlt sehr viel mehr Steuern und Abgaben als ein Deutscher. Doch ein Konzern kann Teilaspekte des niederländischen Steuerrechts nutzen: bei Lizenzgebühren, bei Schuldzinsen. Dann nutzt er Teilaspekte des irischen Steuerrechts, Teilaspekte auch des deutschen Steuerrechts, von weiteren Steuerrechten. Und das wird so gekoppelt, dass er unterm Strich sehr viel weniger Steuern bezahlt als ein nur in Deutschland tätiger Mittelständler.“

 

Deutsche Konzerne mit weißer Weste?

 

Steuerexperten wie Professor Jarass, aber auch weltweit vernetzte Gruppen wie etwa Tax Justice Network untersuchen solche Tricks seit Jahren. Fündig wurden sie dabei vor allem bei amerikanischen Konzernen. Details über kreative Steuergestaltungen deutscher Unternehmen sind bislang kaum bekannt. Markus Meinzer vom Tax Justice Network glaubt aber nicht an bessere Steuermoral der deutschen Unternehmen: „Bei deutschen Konzernen wissen wir schlicht nicht, wie viel Steuern sie in Deutschland bezahlen. In den USA werden Konzerne durch die Bilanzierungsrichtlinien verpflichtet, ihre Gewinne und Steuern aufzuschlüsseln nach USA- und Nicht-USA-Geschäft, während in Deutschland und Europa diese Aufschlüsselung nicht verpflichtend ist.“ Professor Lorenz Jarass verweist schlicht auf das in Deutschland recht strenge Steuergeheimnis.

Um zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, ob deutsche Unternehmen aktive Steueroptimierung betreiben, durchforstet plusminus die Listen aller Tochterunternehmen von drei deutschen Konzernen: Telekom, BASF und Commerzbank. Wie viele Tochterunternehmen haben sie in Steueroasen? Um das herauszufinden muss man Tausende von Tochterfirmen überprüfen. Die Liste der Oasen stammt von der amerikanischen Regierung. Sie enthält – neben den üblichen Karibikinseln – auch Staaten wie Irland und EU-Länder, die für einzelne Gewinnarten besonders niedrige Steuern fordern, darunter Malta Zypern oder die Niederlande. Hinzu kommen noch einzelne amerikanische Bundesstaaten wie etwa Delaware.

Das Ergebnis unserer Zählung: BASF hat mehr als ein Viertel seiner Tochtergesellschaften in Steueroasen. Bei der Telekom sind es 29 Prozent. Die Commerzbank hat sogar 37 Prozent aller Tochterunternehmen in Steueroasen. Wozu sie aber allein 38 Töchter in Delaware braucht, weiß nur der Konzern selbst. Möglichkeiten gibt es viele.

 

Kreativität ohne Grenzen

 

Ein vergleichsweise einfach zu nutzender Trick betrifft Finanzierungen. Ein deutscher Konzern kann beispielsweise sein Geld bei einer Tochter in einem Steuerparadies anlegen und dort die Zinsgewinne steuerfrei kassieren. Gleichzeitig kann der Konzern sich aus dem Steuerparadies Geld leihen und die Zinsen, die er dafür zahlen muss, von der Steuer absetzen. In Deutschland schrumpft die Steuerlast, die Gewinne wandern ins Steuerparadies.

 

Eine weitere, klassische Methode erläutert Professor Jarass an einem Beispiel aus der Möbelbranche. Es geht um sogenannte Verrechnungspreise: „Möbel werden vielleicht in Litauen kostengünstig produziert, für kleines Geld an eine konzerneigene Zwischenhandelsgesellschaft in der Schweiz weiterverkauft. Von dieser Konzerngesellschaft kauft man teuer die Möbel ein und verkauft sie dann in Deutschland. Klar ist, der Gewinn fällt dann nicht in Deutschland an, sondern im Wesentlichen in der Schweiz bei der konzerneigenen Tochtergesellschaft. Damit kann der Gesamtgewinn des Konzerns weitgehend unbesteuert bleiben.“

Um die Gestaltungsmöglichkeiten zu begrenzen, müssen Unternehmen heute dokumentieren, welche Preise sie für welche Produkte abrechnen. Diese müssen im Vergleich zu ähnlichen Produkten anderer Hersteller realistisch sein. Trotzdem gibt es durch Qualitäts- und Detailunterschiede immer noch erhebliche Gestaltungsspielräume. Spätestens wenn Teile der Produkte mit Patentrechten und Namenslizenzen geschützt sind, kann ein Teil des Gewinns als Zahlung für Patent- und Lizenzrechte ohnehin problemlos zu Tochterunternehmen in Steueroasen verschoben werden.

 

Abhilfe wäre möglich …

 

Um derartige Steuervermeidung einzugrenzen, fordert Markus Meinzer als ersten Schritt eine erhöhte Transparenz in den Unternehmensbilanzen. Man müsste „Konzerne dazu verpflichten, nach Ländern aufgeschlüsselt offenzulegen, wo sie Gewinne machen, wo sie wie viel Steuern bezahlen, wie viel Angestellte und wie viel Kapitalgüter sie in den Ländern haben. Dann könnte eine Steuerbehörde sehen, wo wenig Beschäftigte einen Riesengewinn machen und bei einer Steuerprüfung aufdecken, wenn es da Missbrauch gegeben haben sollte“.

 

Allerdings sind viele Gestaltungsmöglichkeiten ja durchaus legal. Um das zu verhindern, schlägt Tax Justice Network vor, Konzerne zunächst einmal als Einheit zu behandeln, die einen konzernweiten Gewinn auszuweisen. Anhand der Umsätze in einzelnen Ländern, der Zahl der dort beschäftigten Mitarbeiter und vorhandener Produktionsstätten könnten die Gewinne dann zur Versteuerung auf einzelne Staaten aufgeschlüsselt werden.

 

Ähnliche Maßnahmen werden in der EU tatsächlich auch schon seit Jahren diskutiert – bislang ergebnislos. Professor Jarass würde deshalb nicht auf eine europa- oder gar weltweite Einigung warten und schlägt Änderungen im Steuerrecht vor, die Deutschland auch im Alleingang vornehmen könnte: „Die international tätigen Konzerne haben ja deshalb häufig so wenig Eigenkapital in Deutschland, weil sie das Eigenkapital ins Ausland transferiert haben – wo Zinsen steuerfrei bleiben – und sich aus dem Ausland mit Fremdkapital fremdfinanzieren, um diese Zinsen von der Steuer abzusetzen. Das ist eine rein künstliche, zur Steueroptimierung gewonnene Situation. Natürlich muss man sicherstellen, dass der kleine Mittelständler, der kleine Freiberufler davon nicht betroffen ist. Der soll weiter seine Schuldzinsen absetzen können. Aber der große international tätige Konzern, der kaum noch Eigenkapital in Deutschland hat, der sollte in Zukunft keine Schuldzinsen mehr in Deutschland absetzen können.“

 

… doch Besserung ist nicht in Sicht

 

Während die EU seit Jahren über verschiedene Möglichkeiten diskutiert, Steuertricksereien großer Konzerne künftig zu erschweren, schaffen EU-Länder wie England neue Schlupflöcher. Die für Lizenzen zuständige englische Behörde wirbt auf ihrer Homepage ganz unverblümt: „Sparen Sie Geld und reduzieren Ihre Steuern.“ Gerade erst verminderte Steuersätze auf Patente und Lizenzen sollen „Unternehmensgewinne dramatisch steigern“.

 

Auch Frankreich hat gerade erst beschlossen, die Steuersätze für Gewinne aus Lizenzen und Patenten zu senken. Jedes Land versucht auf diese Weise, wenigstens einen kleinen Teil der Steuereinnahmen im eigenen Land zu halten. Doch dieser Wettbewerb um möglichst niedrige Steuersätze führt am Ende dazu, dass multinational tätige Konzerne ihre Steuerlast immer weiter senken können – und die Finanzierung der staatlichen Infrastruktur immer stärker auf Arbeitnehmer und kleine Firmen abgewälzt wird.