Siehe
hierzu https://www.capital.de/wirtschaft-politik/energiewende-mythen-reloaded?article_onepage=true

Der Ruf der
deutschen Energiewende hat stark gelitten. Nach Ansicht von Claudia
Kemfert handelt es sich bei den meisten Argumenten gegen die
Energiewende um Mythen. Hier räumt sie mit den gängigsten Märchen auf. .

 

Claudia
Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin Energieökonomie
und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance. 
dpa

Manche Mythen
halten sich hartnäckig: Die Energiewende sei zu teuer, Öko-Strom zu
zappelig, die Sonne zu schwach, der Wind zu still, der Speicher zu
knapp und das Netz zu löchrig. So etwa klingt das Klage-Stakkato der
Energiewende-Gegner. Und wem das alles nicht genügt, dem wird final das
Horrorszenario der De-Industrialisierung an die teuflische Wand gemalt.

Ein Déjà-vu:
Vor über zehn Jahren begegneten mir überall diese Argumente. Die
fossilen Großkonzerne bliesen zum Angriff auf die deutsche Energiewende
– leider erfolgreich. Denn tatsächlich gelang es mithilfe dieser Mythen
und Legenden, die Energiewende auszubremsen. Weswegen ich 2013 das Buch
Kampf um
Strom
“ und 2016 das Buch „Das
fossile Imperium schlägt zurück
“ schrieb, um die Mythen als Mythen
zu entlarven, was die wissenschaftlichen Fakten sind und welche
Interessen dahinterstehen, wenn jemand solche Mythen heraufbeschwört.

Jetzt sind
sie also wieder da. Die Angstmach-Kampagnen der Energiewende-Gegner
haben wieder Hochkonjunktur. Und werden mit kompakten
Marketing-Schlagworten in die Social-Media-Kanäle geschwemmt, auf dass
sie sich dort viral verbreiten mögen – was sie leider tun. Deswegen
habe ich ein kurzen Faktencheck zu den gängigsten Mythen
zusammengestellt:

#1 Mythos:
„300 Mrd. Euro hat die Energiewende gekostet – und nichts gebracht!“

Die Zahl „300
Milliarden“ ist gängig. Manchmal wird der Zeitraum „seit 2005“
benannt. Trotzdem bleibt in der Regel diffus, von welchen Kosten
genau die Rede ist.  Wer nachfragt, wird meist auf die Förderung
der erneuerbaren Energien verwiesen (Einspeisevergütung nach dem EEG-Gesetz).

Seit Beginn
beträgt die Fördersumme 167 Mrd. Euro, seit 2005 sind es 152 Mrd. Euro,
nachzulesen beim Statistischen
Bundesamt
. Das sind aber keine Kosten, sondern Investitionen. Der
Unterschied: Kaufe ich ein Fahrrad habe ich 200 Euro Kosten. Kaufe ich
das Rad, um das Bus-Ticket für 2 Euro zu sparen, habe ich schon nach
100 Fahrten die Kosten reingeholt und mit jeder weiteren Fahrt mit dem
Rad 2 Euro mehr in der Tasche. Und nutze ich das Rad sogar für bezahlte
Kurierfahrten, verdiene ich damit nach kurzer Zeit so viel Geld, dass
ich davon nicht nur das Rad, sondern vielleicht auch noch meine Miete
bezahlen kann.

Das gleiche
gilt auch für die EEG-Förderung. Erneuerbarer Energien wirken
kostensenkend an der Strombörse, dadurch konnten die Stromkosten
gesenkt
 werden. Dass die Preise für dich und mich trotzdem
gestiegen sind, liegt nicht an den Erneuerbaren Energien, sondern daran
dass die Stromversorger die günstigen Börsenpreise nicht an uns
Verbraucher weitergegeben haben.

Außerdem
wurde der Import fossiler Energien reduziert: Das
Bundeswirtschaftsministerium (Jahresbericht
2018
) weist eingesparte Primärenergie aus (Abb. 28, S. 26) und
damit eingesparte Kosten von etwa knapp 92 Mrd. Euro seit 2007. Allein
dadurch vermindert sich die Nettofördersumme auf 60 Mrd. Euro. Wenn man
dann noch die vermiedenen CO2-Emissionen
und die damit unterbundenen Schäden (180 Euro
je Tonne CO2 laut Umweltbundesamt
) hinzurechnet, ergeben sich auf
der Plus-Seite insgesamt 327 Mrd. Euro seit 2005 und sogar 435 Mrd.
Euro eingesparte Klimaschäden seit 1990.

Zu einer
umfassenden volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung gehört aber
mehr. Denn durch die Förderung erneuerbarer Energien sind zwischen 2004
und 2017 laut Bundeswirtschaftsministerium wirtschaftlichen Impulse im
Wert von 240 Mrd.
Euro
 entstanden. Außerdem haben die Investitionen
auch neue Arbeitsplätze hervorgebracht: Derzeit arbeiten über 330.000
Beschäftigte in der Erneuerbare-Energien-Branche. Zwischenzeitlich
waren es deutlich mehr, aber die permanenten gesetzlichen Einschnitte
infolge des Mythen-Lobbyismus’ haben immer wieder Arbeitsplätze
vernichtet; zuerst in der Solarenergie, aktuell auch in der
Windenergie. Ohne Mythen-Hokuspokus könnten es also deutlich mehr
Arbeitsplätze sein.

Unterm Strich
hat die Energiewende also bisher gar nichts gekostet, sondern einen
enormen Ertrag gebracht. Es muss also richtigerweise heißen:

Fakt ist: Die
Energiewende hat seit 2005 über 300 Mrd. Euro Gewinn erwirtschaftet.

#2 Mythos:
„Es gibt Geisterstrom aus Windanlagen, der 364 Millionen Euro kostet!“

Nach dem Mythos
„Zappelstrom“
 kommt nun der Mythos
„Geisterstrom“. Beides sind Begriffe, die sich zwar auf Tatsachen
beziehen, aber abwertend gemeint sind. „Zappelstrom“ ist das
Schimpfwort für Strom aus erneuerbaren Energien, der eben schwankt,
weil der Wind unterschiedlich weht und die Sonne unterschiedlich
scheint.

„Geisterstrom“
bezieht sich auf Strom, der in Windanlagen produziert werden könnte,
aber nicht produziert wird – und zwar aufgrund von Netzüberlastungen
und –engpässen. Dafür bekommen Windanlagenbetreiber eine Entschädigung.
Ein solcher Vorgang ist im Wirtschaftskonzext völlig normal. Wenn
jemand eine Pizza bestellt, sie dann aber doch nicht isst, muss er sie
trotzdem bezahlen. Dieselben die von Geisterstrom herumschwadronieren,
fordern für Kohlekraftwerke gern „Bereitstellungsprämien“.

Im
Hintergrund bei all diesen Begriffen schwingt immer die These mit, dass
die Energiewende angeblich nicht funktioniert. Das ist Unsinn. Denn die
Tatsache, dass Windanlagen abgeregelt werden müssen, liegt an
Netzengpässen. Die Ursachen dafür sind vielfältig.
Aber ein Grund wird gern von Energiewende-Gegner unterschlagen:
Kohlekraftwerke stehen zu großen Teilen nördlich der Mainlinie, also
da, wo der meiste Wind weht. Wenn der Wind weht, könnten sie eigentlich
runtergefahren werden. Aber weil diese „CO2-Schleudern“ verdammt
unflexibel sind, müssen stattdessen die klimaschonenden Windanlagen
abgeregelt werden. Das betrifft derzeit maximal ein Prozent der
Strommenge, ist also eigentlich nicht der Rede wert. Und auch die
scheinbar skandalösen 300 Mio. Euro „Ausfallprämie“ sind nur ein
kleiner Betrag der gesamten Stromkosten in Deutschland, nämlich unter
drei Prozent. Aber wer Mythen verbreiten will, macht gern aus Mücken
Elefanten.

Deswegen ist
auch die ewige Litanei, die Netze würden bald nicht mehr ausreichen,
ein Lobbyisten-Märchen: Mit dem Kohleausstieg werden nach und nach die
trägen Kohlekraftwerke verschwinden, und nach und nach also auch die
Netzengpässe abnehmen.

Und weil wir
gerade dabei sind: Den überschüssigen Windstrom könnte man eigentlich
auch an lokale Abnehmer liefern oder in Power-to-Gas-Anlagen sinnvoll
in Wasserstoff oder „Power
to Gas“
umwandeln. Aber das ist derzeit nicht erlaubt. Deswegen wäre
es dringend geboten, dafür die Rahmenbedingungen
zu ändern
. Und jetzt ratet mal, wer dagegen ist!

Fakt ist:
Geisterstrom gibt es nicht, aber Ausfallprämien für Windbetreiber, wenn
Kohlekraftwerke die Netze blockieren. Die Kosten dafür sind
vernachlässigbar niedrig. Wer das ändern will, sollte gesetzliche
Regelungen schaffen, die den Handel und die Speicherung von
überschüssiger Windenergie ermöglichen.

#3 Mythos:
„Bei Dunkelflauten geht das Licht aus; denn es gibt keine Speicher für
erneuerbare Energie!“

Der Begriff
„Dunkelflaute“ ist eine weitere Wortschöpfung aus der Welt der
Energiewende-Gegner. Gemeint sind Zeiten,
in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint
.
Kombiniert wird das Wort gern mit der Behauptung, dass es keine
Speicher gibt – und zwar weil das technisch nicht möglich sei und/oder
weil die so riesig sein müssten, dass das gar nicht geht. Zahlreiche
Studien haben das widerlegt
.

Wenn man
wollte und dafür die Rahmenbedingungen schaffen würde, könnten heute
schon Pumpspeicherkraftwerke, Wasserstoff-, Wärmespeicher usw. ohne
weiteres zum Einsatz kommen, wenn man die
Hemmnisse
 beseitigt. Es gibt dafür ausreichend
viele geeignete Speicher-Technologien (siehe
hier
, Abb. 3.4.1). Aber für die Energiewende braucht man gar nicht
so viel Speicher, wie gern behauptet wird. Die sogenannte Residuallast,
also die Differenz zwischen benötigter Leistung und von nicht
regulierbaren Kraftwerken erbrachter Leistung, ist ein Bruchteil dessen
(siehe
hier
, Seite 63 ff), was durch die Mythen verbreitet wird.

Extremszenarien
für die Zukunft zeigen, dass insbesondere die Flexibilität
des Systems
 (dabei wird auch die Nachfrage
flexibel gesteuert) sowie der Einsatz von überschaubaren
Langfristspeichern wie Biogas und „Power to Gas“ problemlos
Schwankungen in der Stromproduktion bei Extremwetter überbrücken
 kann.

Fakt ist:
„Dunkelflauten“ werden skandalisiert. Es gibt ausreichend
Speichermöglichkeiten auch für Extremwetter-Zeiten.

#4 Mythos:
„Wasserstoff ist das neue Öl!“

Die
Umstellung der Wirtschaft auf eine klimaschonende Lebensweise sei ohne
Energiewende möglich, behaupten manche Gegner. Man müsse, so heißt es
gern, einfach „technologieoffen“ bleiben. Dann würde Wasserstoff sich
als Heilsbringer für die Mobilität von morgen erweisen. Und alles kann
so weiter gehen wie bisher. Statt Benzin oder Diesel wird halt
Wasserstoff „getankt“.

Manchmal wird
im Mythen-Labor argumentativ sogar noch eine Schippe draufgelegt:
Wasserstoff-Fahrzeuge seien ökologisch vorteilhafter als Elektroautos.
Das lässt sich bei einer nüchternen
Gegenüberstellung
 nicht aufrechterhalten.

Vereinzelt
gibt es richtig krasse Einwände gegen E-Mobilität: Elektroautos würden
in Wahrheit Kohlestrom verbrauchen und Kinderarbeit fördern. Beides
können wir verhindern, indem wir E-Mobilität mit einer konsequenten
Energiewende, Sozial-
und Nachhaltigkeitsstandard beim Ressourcenabbau
 international
verbindlich einfordern und 100 Prozent Recycling-Vorgaben von Batterien
festsetzen.

Kommen wir
zum Thema Wasserstoff und seiner Herstellung,
Nutzung, seinen Vorteile und Nachteilen
. Ja, es stimmt:
Brennstoffzellen-Fahrzeuge verursachen nur wenig Emissionen und haben
längere Reichweiten als Elektroautos. Aber sie sind extrem ineffizient.
Um nämlich den Wasserstoff für einen Kilometer Fahrt mit dem
Brennstoffzellen-Fahrzeug zu produzieren braucht man genauso viel
Energie wie für acht Kilometer mit dem Elektroauto. (SRU
Gutachten
 Seite 81 ff). Wo soll diese Energie
herkommen? Und ist es uns das wert? Solchen Mehraufwand wird man nur
dort aufbringen wollen, wo es keine oder kaum klimaschonende
Alternativen gibt, also im Schwerlastverkehr, bei Schiffen oder
Flugzeugen. Für Kleinwagen im Individualverkehr, wie wir ihn heute
kennen, lohnt
sich dieser Aufwand ganz sicher nicht
. Dafür wäre Wasserstoff viel
zu teuer.

Außerdem muss
man für die Erzeugung und den Vertrieb von Wasserstoff erst eine
Infrastruktur schaffen (also Produktionsstäten und Tankstellen). Das
wäre eine zweite Struktur parallel zu der
Ökostrom-Produktions-Infrastruktur, die wir bereits haben und wie
Ladestationen leicht ausbauen können. Wasserstoff ist aber genau wie
das ebenfalls oft diskutierte Power-toGas (PtG) ein guter
Langfrist-Speicher. Dafür gibt es gute
Ideen
.

Fakt ist:
Wasserstoff ist eine gute Langfrist-Speicher-Lösung, aber als
Treibstoff für Autos viel zu teuer.

Warum
kursieren Mythen über die Energiewende derzeit wieder?

Über die
Gründe, warum einige Menschen entgegen aller wissenschaftlichen
Erkenntnisse solche rhetorisch geschickt verpackten Mythen verbreiten,
kann man nur spekulieren. Manche Politiker erhoffen sich vielleicht
Wählerstimmen von Menschen, die emotional auf Pseudo-Informationen
anspringen.

Gott sei Dank
ist die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile weiter: Die Technologien
sind vorhanden, sie müssen nur zum Einsatz kommen. Es gibt schon heute Praxisbeispiele,
dass und wie eine Welt aus 100
Prozent erneuerbarer Energien
 funktionieren kann.
Es gibt auch Modelle und Lösungen, um, die bislang fehlenden
ökonomischen Anreize und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die
Industrie den Umstieg in eine klimafreundliche Produktion vollzieht.
Die Bereitschaft wächst.

Selbst die
großen Energiekonzerne setzen inzwischen voll auf erneuerbare Energien.
Sie wissen, dass es in Zukunft eine dezentrale, auf erneuerbaren
Energien basierende Strom- und Energieerzeugung geben wird. Sie wissen
dass es Prosumer-basierte
Speicherlösungen
 kombiniert mit dezentraler
Solarenergie samt Wärmespeicher geben wird. Und sie haben bereits
begonnen, ihre Geschäftsmodelle entsprechend umzustellen.

Einer Vollversorgung mit
erneuerbarer Energien steht somit nichts mehr im Wege, es sei denn man
hört auf die laut schreienden Ewig-Gestrigen, die leicht widerlegbare
Mythen in die Welt setzen. Wir sollten uns von ihnen nicht den Spaß an
der Zukunft nehmen lassen. Klimaschutz ist eine Chance. Nutzen wir sie!