Eine Idee aus der Giftküche wird salonfähig

aus: Handelsblatt Nr. 120 vom 26.06.06, Seite 4

AXEL SCHRINNER | DÜSSELDORF „Man bekommt jeden Tag einen Schock, wenn man am Morgen die Zeitung aufschlägt“, sagt Alfred Boss, Finanzexperte des Instituts für Weltwirtschaft. Gemeint damit war am Freitag die Äußerung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der im Handelsblatt dafür plädierte, Schuldzinsen in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer aufzunehmen.

Sollte es tatsächlich dazu kommen, hätte die Wirtschaft eine der ganz großen Schlachten der vergangenen Jahrzehnte endgültig verloren. Mit Erfolg hat die Wirtschaft es geschafft, die ertragsunabhängigen Elemente aus der Gewerbesteuer Schritt für Schritt zu eliminieren. Erst kippte 1980 die Lohnsummensteuer, 1998 die Gewerbekapitalsteuer und im Zuge der Beratungen für eine Kommunalfinanzreform war sie sogar knapp davor, die Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen zu kippen und die Basis der Gewerbesteuer der der Körperschaftsteuer anzugleichen – ein wichtiger Schritt zur Abschaffung der Gewerbesteuer.

Vor allem seit dem Einbruch der Gewerbesteuer in 2001 und 2002 wurden Stimmen wieder lauter, die konjunkturunabhängigen Bestandteile zu stärker. An die Spitze der Bewegung setzte sich der Städtetag und das Enfant terrible der deutschen Ökonomenszene, der Wiesbadener Betriebswirt Lorenz Jarass.

Die These: Viele weltweit tätige Konzerne haben in den vergangenen Jahren ihre Gewinne gesteigert, zahlen aber weniger Steuern als in den 90er Jahren in Deutschland. Schuld sei vor allem auch die rot-grüne Unternehmensteuerreform, die unter anderem die Verschiebung von Gewinnen ins Ausland ermöglicht.

Als Paradebeispiel gilt Ikea-Deutschland. Die Firma hatte 2003 laut Jarass 2,3 Mrd. Euro Umsatz, Eigenkapital von drei Mill. Euro und Fremdkapital von 1,4 Mrd. Euro. Das deutsche Steuerrecht erlaube Ikea, drei Prozent des Umsatzes als Lizenzgebühr für die Führung des Namens „Ikea“ steuerfrei ins Ausland zu transferieren – knapp 70 Mill. Euro. Über 60 Mill. Euro habe der Konzern Schuldzinsen gezahlt. Trotz einen Gewinn vor Lizenzgebühren und Schuldzinsen von 300 Mill. Euro habe Ikea lediglich gut 50 Mill. Euro Steuern gezahlt, rund 15 Prozent.

Eine moderate Substanzbesteuerung könnte eine Art Eintrittsgeld für einen Standort sein. Käme dazu eine geringe Grenzbelastung von Gewinnen, würden Investitionen lohnender, als bei den hohen Grenzbelastungen von rund 40 Prozent heute – Fixkosten sind für Entscheidungen irrelevant.

Für die Wirtschaft gehört jede Substanzbesteuerung dagegen in den Giftschrank. Das schlagende Argument: In einer Rezession geht es den Unternehmen ohnehin schon schlecht. Müssten sie dann auch noch Steuern zahlen, könnte das den Ruin bedeuten.