Lorenz Jarass

Schieflage durch Privilegien

STEUERRECHT

Private-Equity- und Hedgefonds profitieren. Das Ausschlachten inländischer Unternehmen wird subventioniert 

Die deutsche Wirtschaft ist von 1998 bis 2006 um über zehn Prozent gewachsen. Die Arbeitnehmer profitierten davon nicht, ihre Löhne sind – preisbereinigt – konstant geblieben. Den gesamten Zuwachs bekamen Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die real um 30 Prozent gestiegen sind. Nach den Prognosen werden 2007 und 2008 die Reallöhne bestenfalls geringfügig steigen, die Unternehmens- und Vermögenseinkommen hingegen um weitere 15 Prozent. Die nominale wie auch die tatsächlich bezahlte Steuer- und Abgabenbelastung von Löhnen beträgt seit Jahren fast 50 Prozent, für Lohnerhöhungen über 60 Prozent, davon je ein Drittel Lohnsteuer, Arbeitgeber- und Arbeitnehmersozialabgaben. Noch nicht berücksichtigt sind hier zusätzliche Belastungen zur Sanierung des Staatshaushalts wie Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung des Sparerfreibetrags, Abschaffung der Eigenheimzulage und Kürzung der Pendlerpauschale. Hingegen belastet Deutschland Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Durchschnitt sehr niedrig. Die tatsächlich bezahlte Steuerlast auf Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen (im Vergleich zu den höheren nominalen Steuersätzen) beträgt mit deutlich unter 20 Prozent nur gut ein Drittel der Belastung von Lohneinkommen und ist im internationalen Vergleich sehr niedrig. Hätten die deutschen Kapitalgesellschaften etwa Steuern in Höhe des nominalen Unternehmensteuersatzes der Slowakei von nur 19 Prozent tatsächlich bezahlt, so wären dem deutschen Fiskus 2005 immerhin rund 8 Milliarden Euro mehr zugeflossen.

Hohe Steuerausfälle

Durch die Unternehmensteuerreform 2008 werden die nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften nochmals deutlich gesenkt, je nach örtlichem Hebesatz der Gewerbesteuer betragen sie dann nur noch mindestens 23 Prozent bis höchstens 34 Prozent (München). Daraus resultieren Steuerausfälle von weit über 10 Milliarden Euro pro Jahr. Das deutsche Steuersystem subventioniert das Ausschlachten profitabler inländischer Unternehmen („Heuschrecken“-Effekt).

Die sehr niedrige und tendenziell weiter sinkende Steuerlast, die von Unternehmen, speziell Kapitalgesellschaften, tatsächlich bezahlt wird, beruht nur zum Teil auf Senkungen der Steuersätze, noch mehr aber auf einer Vielzahl systemwidriger Steuerprivilegien, die vor allem international tätigen Konzernen und Finanzinvestoren eingeräumt wurden und die der Allgemeinheit und vor allem den Arbeitnehmern schaden. Vor allem ausländische Private-Equity- und Hedgefonds haben von solchen Steuerprivilegien Gebrauch machen können.

Verängstigte Sparer

In Deutschland tätige Finanzbeteiligungsgesellschaften erzielen seit Jahren hohe Renditen für ihre meist ausländischen Anleger. Sie haben Unternehmen aufgekauft, zerlegt und ausgeschlachtet, Arbeitsplätze abgebaut und steuersubventioniert ins Ausland verlegt und trotz hoher Gewinne ganz legal kaum Steuern bezahlt. Die Bedrohung des Weltwirtschaftssystems durch kreditfinanzierte Firmenaufkäufe und die Schlangen verängstigter Sparer haben die öffentliche Aufmerksamkeit über das Problem der Finanzbeteiligungsgesellschaften hinaus auf die zunehmende Ungleichheit sowohl der Einkommen als auch der Steuer- und Abgabenbelastung gerichtet. Nach der Unternehmensteuerreform 2008 müssen deutsche Anteilseigner von gewerblichen Personengesellschaften bis zu 47 Prozent Steuern auf ihre Gewinne bezahlen, etwas mehr als vor 2008. Gelingt es ihnen, ihre Aktivitäten als vermögensverwaltend zu deklarieren, etwa durch Übertragung ihres Immobilienbesitzes in einen Real Estate Investment Trust, sind nur noch 25 Prozent Abgeltungsteuer fällig. Ausländische Anteilseigner zahlen durch entsprechende Steuergestaltungen in Deutschland in der Regel nur noch höchstens zehn Prozent Steuern. Dies führt zu einer überwiegend steuergetriebenen Flucht des Kapitalverwaltungssitzes ins Ausland, etwa nach Luxemburg und in die Schweiz, weil ganz legal massiv Steuern gespart werden können.

Im Inland sitzende Aufkäufer können ihre Konkurrenzfähigheit erhöhen, indem sie ihre Kapitalverwaltung ins Ausland verlegen. Dadurch werden bisher hier tätige Finanzprovider massiv benachteiligt und ihre Arbeitsplätze durch die deutsche Steuerpolitik ins Ausland vertrieben. Erfolgreiche inländische, vor allem mittelständische Konkurrenten müssen weiter voll Steuern zahlen, sind deshalb nicht mehr dauerhaft konkurrenzfähig und werden früher oder später von den internationalen Fonds aufgekauft. Die Krisen der Banken und der meist in Steueroasen ansässigen Hedgefonds und ihre Folgen für die Geldanleger werden intensiv thematisiert, viel weniger aber die Folgen für die Beschäftigten der von ihnen gehaltenen Unternehmen und damit für den Arbeitsmarkt: Bankenkrisen und Firmenzusammenbrüche kosten reiche Leute unter Umständen viel Geld, die Arbeitnehmer aber die Existenzgrundlage. Einer der größten Kapitalgeber für Hedgefonds und Private-Equity-Fonds sind Pensionskassen, schon seit Längerem in den USA, zunehmend auch in Europa. Wo sie das angesparte Vermögen der Beschäftigten aus Renditegründen immer mehr hochspekulativen Fonds anvertrauen, kann die Altersversorgung der Beschäftigten beim Zusammenbruch der Fonds in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn der Staat nicht mit Steuergeldern einspringt. Ganz abgesehen davon finanzieren die Beschäftigten durch ihre Ersparnisse genau die spekulativen Aufkäufer, die ihren Unternehmen besonders hohe Renditeziele vorgeben und damit den Arbeitsdruck erhöhen. Die Bundesregierung hat den Spielraum von Private-Equity-Fonds und Hedgefonds erweitert. Künftig dürfen deutsche Lebensversicherer zehn statt bisher fünf Prozent in derartige Fonds und Rohstoffanlagen investieren. Dies mag kurzfristig deren Rendite erhöhen, führt aber zugleich zum Risiko eines totalen Kapitalverlusts und einer weiteren Destabilisierung der Volkswirtschaft.

Die in Deutschland ansässigen Unternehmen haben 2005 ihren Finanzierungsbedarf laut Bundesbank zu fast 90 Prozent aus eigenen Mitteln gedeckt. Von einem generellen Eigenkapitalmangel kann keine Rede sein. Kerngeschäft der Private-Equity-Branche ist der kreditfinanzierte Firmenkauf. Auf den Aufkauf großer Firmen entfielen 2006 fast 90 Prozent des Geldes, das die Fonds in Deutschland anlegten. Beteiligungen an High-Tech-Neugründungen machten hingegen nur einen kleinen Anteil aus: Gerade mal sechs Prozent ihrer Ausgaben investierte die Private-Equity-Branche nach eigenen Angaben 2006 in Start-ups.

Deutsche Konzerne nutzen Spielräume zur Steuergestaltung, doch selbst sie können Schlupflöcher nicht so ausnutzen wie Private-Equity- und Hedgefonds. Der international tätige Erwerber hat allein durch die Steuerfreistellung der Unternehmenserträge einen erheblichen Wertzuwachs seiner Beteiligung erreicht. Die Folge: Die Fonds können höhere Kaufpreise zahlen als andere Investoren und kommen so häufiger zum Zug – eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber regulierten und voll steuerpflichtigen Konkurrenten. Diese Schieflage sollte nicht weiter verstärkt werden. Unternehmen haben vor allem in der Gründungs- und Frühphase Schwierigkeiten, ausreichend Beteiligungskapital zur Stärkung ihrer Eigenkapitalausstattung zu bekommen. Zur Finanzierung solcher mit guten Gründen empfohlenen Unternehmensgründungen – und nur dafür – könnten nach Höhe und Art begrenzte steuerliche Vorteile gewährt werden. Sinnvoll ist eine Förderung der innovativen, jungen Zielunternehmen, die Geld brauchen, nicht die Förderung der Fonds und ihrer Manager.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Wiesbaden.


Kopie aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift „Das Parlament“ mit der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2008.