Strom soll zum neuen Jahr um bis zu 20 Prozent teurer werden. Schuld daran soll die Energiewende sein. Aber stimmt das? markt-Scanner schaut auf die Argumente.

 

Achim Riemer zeigt uns, wie Leitungen über seinem Haus mit ihren elektrischen Feldern sogar Neonröhren zum Leuchten bringen – ohne Stromanschluss. Er fürchtet, dass die deutlich messbaren Felder gesundheitsgefährdend sind. Inzwischen wurde trotz der Proteste von Achim Riemer und anderen Anwohnern sogar mit dem Bau einer weiteren Leitung begonnen. Sie soll Windstrom von Nord- nach Süddeutschland bringen und ist nur eine von einem Dutzend Leitungen, deren Bau 2009 per Gesetz beschlossen wurde.

 

Doch während die eine Leitung noch in Bau ist, plant die RWE-Tochter Amprion schon weitere Leitungen. So soll parallel zur in Bau befindlichen Leitung eine weitere Leitung entstehen. Durch Gleichstromtechnik sollen diesmal zwar elektrische Felder und befürchtete Gesundheitsgefahren vermieden werden, doch es gibt andere Nachteile: Für die Gleichspannungsleitung soll am Ortsrand ein wahrer Gigant entstehen, vollgestopft mit Hochspannungstechnik. Sie wird mit einer Höher von 20 Metern und einer Länge von 200 Metern die größte Anlage dieser Art in Europa.

Auch dagegen formiert sich Widerstand. Für Anwohner wie Thomas Cap Gier bedeutet das nicht nur ein optisches Problem, sie fürchten auch wirtschaftliche Nachteile: „“Es ist ja jetzt auch schon so, dass die Leute nicht mal hier hinziehen wollen. Ich habe mehrere Familien kennengelernt, die hier hinziehen wollten und von diesem Vorhaben wieder abgelassen haben, dass die Immobilienwerte jetzt schon sinken und dass auch schon Leute ihre Häuser verkaufen wollen.““

Netzausbau überzogen?

Nicht nur Anwohner werden die wirtschaftlichen Folgen des Leitungsbaus spüren. Die Baukosten der beschlossenen Projekte mit einer Gesamtlänge von 4.500 Kilometern werden rund 15 Milliarden Euro betragen. Das werden am Ende vor allem kleinere Stromverbraucher in Form von Netzgebühren zahlen müssen.

Professor Lorenz Jarass beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den für Ökostrom nötigen Leitungen. Er hält die Pläne für überzogen: „“Wenn wir darauf verzichten würden, jede große Windenergiespitze gesichert ins Netz einzuspeisen – was dazu führen würde, dass höchstens ein halbes Prozent der erzeugbaren Windenergie ausgesperrt werden würde -, dann bräuchten wir einen viel geringeren Netzausbau als er jetzt vorgesehen ist.““

In den letzten Tagen vor der Sendung wurden neue Pläne der Bundesregierung bekannt. Danach sollen Netzbetreiber den Betreibern von Windparks künftig eine Entschädigung zahlen, wenn diese ihre Windkraftanlagen wegen Netzüberlastung abgeschaltet werden müssen. Die Kosten dafür sollen auf die Netzgebühr umgelegt werden. Dies steht scheinbar im Widerspruch zu der von Professor Jarass gemachten Aussage. Tatsächlich kam es in den letzten Jahren vor allem im Norden der Republik zu Netzüberlastungen, weshalb Windkraftanlagen zeitweise abgeschaltet werden mussten. Allerdings betrafen diese Fälle meist das lokale Nieder- und Mittelspannungsnetz und nicht die Höchstspannungsnetze, die zur bundesweiten Fernübertragung dienen. Professor Jarass bleibt auch auf Nachfrage dabei: Ein reduzierter Ausbau des Fernleitungsnetzes würde die Einspeisung von Windkraft nur an wenigen Starkwindtagen und auch nur minimal reduzieren.

Netzbetreiber Amprion, Bauherr der umstrittenen Leitungen, bestreitet das auch nicht, schiebt aber die Verantwortung weiter an die Politik: „“Der Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien ist eine politische Entscheidung und an dieser politischen Entscheidung müssen wir unser Netz ausrichten. Das heißt, dass wir eben auch an Tagen mit sehr viel Wind diesen komplett abtransportieren müssen““, sagt Marian Rappl von der Amprion GmbH.

Problematisch und für die Fernleitungsnetze relevant, wird das vor allem bei großen Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee. Kritiker weisen darauf hin, dass sich nur große Stromkonzerne diese sehr teuren Investitionen leisten können. Gleichzeitig muss der Verbraucher nach dem Willen der Bundesregierung für den dort erzeugten Strom nicht nur doppelt so viel zahlen, wie für Strom von inländisch montierten Windrädern. Auch das finanzielle Risiko, dass Netzbetreiber die sehr aufwendigen Leitungen zu den Offshore-Windparks nicht rechtzeitig fertigstellen, wurde von der Bundesregierung auf die kleineren Haushalts- und Gewerbekunden abgewälzt.

 

Der Ausbau des Fernleitungsnetzes wird rund 15 Milliarden Euro verschlingen.

Leitungen für den Export?

Die geplanten Fernleitungen laufen westlich von Köln und Düsseldorf quer durch das Braunkohlerevier. Dort hat Amprions Muttergesellschaft RWE gerade neue Kohlekraftwerke in Betrieb genommen und plant weitere Neubauten. Kritiker wie Professor Jarass monieren, dass die neuen Leitungen vor allem auch für diese Kraftwerke geplant wurden: „“Der jetzige Netzausbau sieht im Wiederspruch zur Energiewende vor, dass auch bei Starkwindeinspeisung die herkömmlichen Kraftwerke gesichert weiter einspeisen können. Aber das ist natürlich ein völliger Wahnsinn! Dieser Kohlestrom wird dann exportiert und garantiert damit den Kohlekraftwerksbetreibern weiterhin gute Renditen.““

 

Das ärgert auch Osterather Anwohner wie Michael Munz: „“Ich empfinde es so, als ob die Energiewirtschaft sich mit dem Netzentwicklungsplan ihren Wunschzettel für den Handel mit Strom eingekauft hat oder aufgeschrieben hat und wir als Stromzahler das Ganze finanzieren, damit sie diesen grenzenlosen Handel betreiben können.““

 

Und was sagt Amprion dazu? „“Wir sind ja gesetzlich verpflichtet, ein sicheres und immer ausreichendes Netz vorzuhalten. Und die Rahmenbedingungen dazu (…) setzt uns die Politik und auch der Markt.““